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Italiens Wirtschaft gefangen in anhaltender Abwärtsspirale

Coface beurteilt die Lage der Wirtschaft Italiens, dem viertgrössten Handelspartner der Schweiz, aufgrund von Faktoren wie niedriger Produktivität, schleppendem Wachstum und eingeschränkten fiskalischen Spielräumen kritisch. Die vergleichsweise hohe Länderrisikobewertung “B” widerspiegelt die Wahrscheinlichkeit von erhöhten Zahlungsausfällen bei Exportkrediten. Schweizer Unternehmen sind demnach gut beraten, sich gegenüber etwaigen Einbussen zu wappnen.

Schwaches Q2 2025

Das italienische Statistikamt Istat hat bestätigt: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte im zweiten Quartal 2025 um 0,1 %. Es ist der erste Rückgang seit zwei Jahren.

Noch im ersten Quartal hatte die Wirtschaft mit +0,3 % zugelegt. Doch der Rückgang kommt nicht überraschend. Denn neben den Investitionen zeigen auch andere Wachstumstreiber seit einiger Zeit Schwäche.

Hauptgrund ist die negative Aussenhandelsbilanz. Ungünstige globale Handelsbedingungen liessen die Netto-Nachfrage einbrechen. Nach dem kräftigen Aufschwung 2021 und 2022 – getragen von der Post-COVID-Erholung – stagnierten die italienischen Warenexporte zuletzt oder fielen sogar.

Dafür verantwortlich ist vor allem die Schwäche wichtiger Partnerländer, die unter Energiekrise und geopolitischen Spannungen leiden. Die USA sind Italiens zweitgrösster Exportmarkt mit einem Anteil von 11 %. Kein Wunder also, dass handelspolitische Entscheidungen dort direkte Spuren in Italien hinterlassen.

Im ersten Quartal 2025 lief es noch gut: Warenexporte legten um 1,8 %, Dienstleistungsexporte um 3,4 % zu. Im zweiten Quartal sah es anders aus. Hier gingen die Warenexporte um -2,2 % zurück, die Dienstleistungsexporte stagnierten.

Der Einbruch hat mehrere Ursachen. Zum einen hatten US-Importeure im ersten Quartal vorgezogene Bestellungen aufgegeben, um möglichen neuen Zöllen – vor allem im Pharmasektor – zuvorzukommen. Zum anderen trugen im Transportbereich die Auslieferungen grosser Kreuzfahrtschiffe zum starken Ausschlag im Vorquartal bei. Diese fehlten nun.

Hinzu kommen anhaltende Handelsspannungen und geopolitische Unsicherheiten. Sie wirken wie ein Dominoeffekt. Auch Partnerländer wie Deutschland und Frankreich spüren die Belastung – und drosseln damit die gesamte Auslandsnachfrage Italiens.

Positive Effekte durch EU-Aufbauinstrument

Die Bruttoanlageinvestitionen (BAI) verloren 2024 an Schwung. Zuvor hatten sie – vor allem dank des Superbonus – mehr als die Hälfte des Wachstums nach COVID getragen. Doch Italien profitiert weiterhin stark von den EU-Hilfen aus dem NextGenerationEU-Programm (NGEU).

Zwischen 2021 und 2026 stehen dem Land rund 72 Milliarden Euro an Zuschüssen und 123 Milliarden Euro an Darlehen zu. Zusammen entspricht das 11 % des BIP von 2019. In absoluten Zahlen ist Italien damit der grösste Nutzniesser des Programms.

Allerdings: Anfang dieses Jahres war erst knapp die Hälfte der bereits ausgezahlten Gelder tatsächlich ausgegeben. Das spricht dafür, dass die Umsetzung im kommenden Jahr deutlich anziehen dürfte – die Frist für die Verwendung der Mittel rückt näher.

Stagnation bei Kaufkraft und privatem Konsum

Der private Konsum in Italien steckt seit über einem Jahr fest. Er liegt nur 0,8 % über dem Vorkrisenniveau. Die erhoffte Erholung bleibt damit weiter aus.

Grund dafür sind das schwache Verbrauchervertrauen und die stagnierende Kaufkraft (Folgen des Ukraine-Kriegs). Zwar hat sich die Inflation seit fast zwei Jahren stabilisiert. Doch das reale verfügbare Einkommen der Italiener ist heute kaum höher als 2019.

Besonders 2022 und 2023 traf Italien eine noch stärkere Inflation. Gleichzeitig stiegen die Löhne langsamer als in vielen anderen europäischen Ländern. Das führte zu sinkenden Reallöhnen.

Ein strukturelles Problem sind die langen Laufzeiten der Tarifverträge. Sie gelten meist drei Jahre. Und selbst nach Ablauf dauern Neuverhandlungen oft über ein Jahr. Dadurch blieben die Löhne weit hinter dem aussergewöhnlichen Inflationsdruck zurück – und die Kaufkraft der Haushalte stagniert.

Historisch hohe Beschäftigungsquote, trotzdem eine der niedrigsten in der Eurozone

Der italienische Arbeitsmarkt entwickelt sich positiv. Die Beschäftigung steigt, die Arbeitslosigkeit sinkt. Im Juli lag die Quote bei 6 % – dem niedrigsten Wert seit 2007. Gleichzeitig erreichte die Beschäftigungsquote mit 62,8 % einen historischen Höchststand.

Im europäischen Vergleich bleibt Italien jedoch weit zurück. Der Schnitt der Eurozone liegt bei rund 71 %. Damit hat Italien weiterhin eine der niedrigsten Beschäftigungsquoten.

Das Beschäftigungswachstum wird vor allem durch mehr Festanstellungen, eine bessere Arbeitsplatzqualität und die höhere Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer getragen. Bei jungen Menschen lässt das Tempo nach. Gründe sind die demografische Alterung, staatliche Anreize wie das Kohäsionsdekret 2024 und frühere Rentenreformen, die die Frühverrentung eindämmten.

Doch der Aufschwung am Arbeitsmarkt schlug sich nicht im privaten Konsum nieder. Er kam zudem in einer Phase schwachen Wirtschaftswachstums. Folge: Produktivitätsverluste. Neue Jobs entstanden vor allem in arbeitsintensiven Branchen mit niedriger Produktivität – etwa Bau, Handel und Gastgewerbe, die 2024 rund einen Prozentpunkt zum Beschäftigungswachstum beitrugen.

Hinzu kam ein weiterer Effekt: Die sinkenden Reallöhne nach dem Ukraine-Krieg machten Arbeitskräfte im Vergleich zu anderen Produktionsfaktoren günstiger. Dadurch übertraf das Beschäftigungswachstum die Produktionsdynamik – und die Produktivität brach stärker ein als im Rest der Eurozone.

Seit 2024 hat sich die Lage etwas verändert. Die Inflation stabilisierte sich, zahlreiche Tarifverträge wurden erneuert. Dadurch steigen die Löhne inzwischen stärker als die Preise. Das verbessert das reale Einkommen – reicht aber nicht aus, um die Verluste der Vorjahre auszugleichen.

Gleichzeitig zeigt sich die Zurückhaltung der Konsumenten. Angesichts globaler Unsicherheiten bleibt die Sparquote hoch: im ersten Quartal 2025 bei 12 %, verglichen mit 11 % zwischen 2015 und 2019. Trotz höherer Kaufkraft und günstigerer Kreditbedingungen bleibt die Ausgabebereitschaft der Italiener damit gedämpft.

Stärkung öffentlicher Finanzen und Reduktion des Haushaltsdefizits

Trotz schwachen Wachstums konnte Italien seine öffentlichen Finanzen stabilisieren. Durch Ausgabenkürzungen und höhere Einnahmen sank das Haushaltsdefizit 2024 auf 3,4 % des BIP, mehr als eine Halbierung. Auch die stabilere politische Lage seit der Wahl Giorgia Melonis 2022 stärkte das Vertrauen der Märkte.

In der Folge fielen die Renditen und Spreads 10-jähriger Staatsanleihen deutlich. Von einem Höchststand bei 5 % im Jahr 2023 sanken sie bis Anfang September 2025 auf rund 3,6 %.

Hauptgrund war das Auslaufen des Superbonus sowie die Rücknahme pandemie- und energiebedingter Hilfen. Ende 2023 kam es zu einem letzten Ansturm auf den Bonus, da seine Deckungsrate nach der Senkung von 110 % auf 90 % nochmals auf 70 % fallen sollte.

Diese Entwicklung liess das Defizit 2023 überraschend auf 7,2 % des BIP steigen – das entsprach rund 76 Milliarden Euro. Doch genau dieser Sondereffekt erleichterte es, die Krise im Jahr 2024 rasch einzudämmen.

Die Investitionsausgaben brachen ein: von 9,2 % des BIP im Jahr 2023 auf 5,4 % im Jahr 2024. Zusätzlich veränderte eine mit Eurostat vereinbarte Umstellung in der Buchführung die Statistik. Steuergutschriften werden seit 2024 nicht mehr als sofortige Ausgaben verbucht, sondern mindern nachträglich die Einnahmen.

Auch die Steuereinnahmen legten kräftig zu. Dank des robusten Arbeitsmarkts stiegen die direkten Steuern um 6,6 % pro Jahr. Die Steuerquote kletterte von 41,4 % im Jahr 2023 auf 42,6 % im Jahr 2024.

Langfristig bleiben die Probleme jedoch bestehen. Italiens Bevölkerungsrückgang und das schwache Produktivitätswachstum belasten weiterhin die Perspektiven für Wirtschaft und Staatsfinanzen.

Umfassende Absicherung des Italien-Geschäfts

Trotz des wirtschaftlichen Circulus vitiosus bleibt Italien ein zentraler Handelspartner der Schweiz. Das Handelsvolumen beträgt rund 50 Milliarden Franken – davon 24 Milliarden Exporte und 26 Milliarden Importe. Seit 2021 haben sich die Schweizer Exporte nach Italien fast verdoppelt. Allein 2023 stiegen sie nochmals um ein Drittel.

Doch Vorsicht ist geboten. Kreditrisiken und Insolvenzen nehmen zu. Für Schweizer Unternehmen bedeutet das: Geschäfte mit Italien erfordern eine fundierte Absicherung.

Hier kommt Coface ins Spiel. Als weltweit führender Dienstleister bietet das Unternehmen Schweizer Firmen umfassende Lösungen – von Wirtschaftsauskünften über Warenkreditversicherungen bis hin zu Projekt- und Inkasso-Dienstleistungen.

Im Bereich Business Information & Intelligence kombiniert Coface globale Geschäftsdaten mit den Analysen aus seinem Kreditversicherungsgeschäft. Rund 600 Experten reichern die Informationen mit strategischen, einzigartigen – und teils vertraulichen – Erkenntnissen an.

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